Pistorius warnt Balkan-Staaten vor Doppelspiel

Von Peter Carstens, Sarajevo/Prishtina/Belgrad
Politischer Korrespondent in Berlin

-Aktualisiert am 07.02.2024-18:56

Auch auf dem westlichen Balkan spielt Russland sein Spiel. Die Staaten müssten sich entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten, mahnt Verteidigungsminister Pistorius auf seinem Besuch.

Verteidigungsminister Boris Pistorius mit dem Verteidigungsminister des Kosovos, Ejup Maqedonci (Mitte) und dem Leiter des "Kosovo Search and Rescue International Training Centre", John Doone (Rechts), am Montag in Prishtina
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Geschenke, Ermahnungen und auch eine kleine militärische Verstärkung hatte Boris Pistorius (SPD) bei seiner mehrtägigen Balkan-Reise im Gepäck. "Man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen", sagte der deutsche Verteidigungsminister in Prishtina, wiederholte es in Sarajevo und machte es auch in Belgrad ungewöhnlich deutlich, wo der serbische Präsident Aleksandar Vuĉić die Fäden in der Hand hält. An denen kann er jederzeit zupfen oder ziehen, um irgendwo im nördlichen Teil vom Kosovo oder in der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Teil von Bosnien-Hercegovina, für Unruhe, vielleicht sogar Krieg zu sorgen.

Dass man einander die Butter auf dem Brot nicht gönnt und Zukunft oft ohne die jeweils andere Ethnie wünscht, erlebt Pistorius in Sarajevo bei einer Diskussion mit der "Präsidentschaft", den drei Vertretern von Bosniaken, Kroaten und Serben. Die, so war aus der Minister-Delegation zu hören, gifteten einander auf das Herzhafteste an, statt sich gemeinsam darum zu kümmern, ihr karges Land auf den Weg in die Europäische Union zu führen. Dorthin wollen alle, vor allem des Geldes wegen.

Die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen, erhofft für dieses Frühjahr, brächte frische EU-Millionen in das Land. Dessen politisch-militärische Eliten haben bereits Hunderte von Millionen absorbiert, ohne dass man in der gemeinsamen Hauptstadt Sarajevo große Fortschritte erkennen könnte. Immerhin wurde die in vier Jahren Belagerung zerstörte Bibliothek wieder aufgebaut. An Hunderten anderen Gebäuden in der Stadt sind die Granateinschläge aus dem Bürgerkrieg von vor 30 Jahren nur notdürftig verputzt, und selbst in den Ministerien für Äußeres und Verteidigung werden Renovierungsarbeiten nur mit grobem Mörtel unter Bewahrung der spätsozialistischen Gammel-Aura durchgeführt.

Der Friede in Südosteuropa ist fragil

Nun will Bosnien-Hercegovina also einerseits Aufnahmeverhandlungen führen, andererseits muss der Hohe Repräsentant Christian Schmidt, machtvoller und zugleich ohnmächtiger Gesandter der Staatengemeinschaft, um die Aufstockung der westlichen Truppen bitten, weil die Lage über die üblichen Drohungen hinaus immer wieder eskaliert. Und niemand kann einschätzen, wohin sie führen oder von Belgrad und Banja Luka geführt werden. Oder eben von Moskau.

Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Hercegovina, Christian Schmidt, und Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag in Sarajevo :
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In der Region herrscht seit den Sezessions- und Bürgerkriegen in den neunziger Jahren ein fragiler Frieden. Immer wieder brechen im Kosovo und in Bosnien-Hercegovina Spannungen auf. Die Europäische Union bemüht sich um Perspektiven für die Westbalkan-Region, die Vereinigten Staaten, nach deren Eingreifen der Bosnien-Krieg mit dem Dayton-Abkommen beendet wurde, sind weiterhin engagiert in dem Kleinstaat mit 3,2 Millionen Einwohnern. "Wir sehen die Zukunft der Westbalkan-Staaten in der Europäischen Union. Das bedeutet neben formalen Aspekten auch den geeinten Willen der Beitrittskandidaten dazu", mahnt Pistorius.

An diesem Willen mangelt es offenkundig. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen Brüssel daraus ziehen will. Es gibt in Sarajevo westliche Stimmen, die dazu raten, auf das Einhalten der Bedingungen zu bestehen. Pistorius ist nach seinen Gesprächen etwas ratlos: "Die multiethnischen Strukturen sind ein Schatz, aber auch eine Herausforderung", sagt er bei einer Pressekonferenz im "Haus der Armee", dem 1881 erbauten Offizierscasino der kaiserlich-königlichen österreichisch-ungarischen Streitkräfte.

Tags zuvor hatte Pistorius in Prishtina die kosovarische Staatspräsidentin Vjosa Osmani und Ministerpräsident Albin Kurti getroffen. Im Kosovo, ehemals serbische Provinz, ist man höchst alarmiert, seit im September ein paramilitärisches serbisches Kommando im grenznahen Banjska eine Polizeistation überfallen hat. Zur Anwendung kamen dabei automatische Waffen und auch teils gepanzerte Militärfahrzeuge.

Der Angriff im russischen Grüne-Männchen-Stil, dessen Drahtzieher die kosovarische Präsidentin Osmani in Belgrad vermutet, wurde von der kosovarischen Polizei zurückgeschlagen, es gab Tote, Verletzte und etliche Gefangene. Dass der serbische Präsident Aleksandar Vu?i? den Anführer der Gruppe einen "Freiheitskämpfer" genannt hat, hat die Lage auch nicht entspannt. War die Kommando-Aktion erster Akt künftiger Operationen der serbischen Spezialkräfte, deren gegenwärtiges Anwachsen mit Sorge beobachtet wird?

Warnung vor Destabilisierung durch Russland

Von Prishtina aus sandte Pistorius eine Botschaft nach Belgrad, die lautet: "Deutschland hat nicht mit seinen Partnern und insgesamt fast 50.000 Soldaten hier für Frieden gesorgt, um dann zuzuschauen, wie sich das wieder ändert." Um das zu verdeutlichen, bringt die Bundeswehr erstmals seit längerer Zeit wieder eine verstärkte Infanterie-Kompanie ins Kosovo.

Auch den Kosovo-Albanern wusste Pistorius Empfehlungen zu geben. Ministerpräsident Kurti, der zu Beginn seiner Amtszeit als jüngerer Politiker Sympathie im Westen gefunden hatte, wird inzwischen kritischer gesehen. Sein recht konfrontativer Umgang mit der serbischen Minderheit im Norden des Kosovos wurde zuletzt in Washington ebenso kritisiert wie in Brüssel. Kürzlich hatte die kosovarische Regierung die Gültigkeit des serbischen Dinar im Norden unterbunden und den Euro als alleiniges Zahlungsmittel dekretiert. Mit nur ein paar Tagen Übergangsfrist. Pistorius riet, etwas verklausuliert: "Berechtigte Maßnahmen, auch wenn sie legitim sind, besser zu kommunizieren und administrativ so abzubilden, dass niemand, insbesondere im Norden des Kosovo verschreckt wird".

Seit der russischen Invasion in der Ukraine sind Befürchtungen gewachsen, Moskau könne seinen Einfluss nutzten, die Lage auf dem Westbalkan zu verschärfen. Pistorius spricht das auf seiner Reise mehrfach an: "Wir wollen verhindern, dass Russland einen weiteren Krisenherd zur Destabilisierung missbraucht." Tatsächlich der Fall ist das im Zusammenhang mit der Führung der "Republika Srpska", die mit ihrem Austritt aus der Föderation Bosnien und Hercegovina droht.

In Sarajevo, der Hauptstadt des Landes, vertritt Christian Schmidt (CSU) die Internationale Gemeinschaft als "Hoher Repräsentant". Der frühere deutsche Landwirtschaftsminister ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, muss aber vor allem diplomatisch zwischen den Gruppierungen vermitteln. Die internationale Gemeinschaft hat auch in Bosnien im Rahmen der EUFOR-ALTHEA-Mission ihre militärische Präsenz zuletzt wieder verstärkt, auf rund 1800 Soldaten. Auch die Bundeswehr ist wieder mit einigen Soldaten in Bosnien-Hercegovina vertreten. Pistorius ließ sich am Mittwoch auf dem Kasernengelände die Einsatzmöglichkeiten vorführen, darunter den Umgang mit gewalttätigen Demonstrationen.

Längerer Austausch mit Vuĉić als geplant

Nach seinem Besuch in Sarajevo flog Pistorius am Nachmittag zu einem Kurzbesuch nach Belgrad, um dort neben Verteidigungsminister Miloš Vuĉić auch den serbischen Präsidenten Vuĉić zu treffen. Der möchte, trotz einer gewissen Nähe zu Moskau, sein Land mittelfristig in die Europäische Union führen.

Vuĉić, ein politischer Überlebenskünstler, der auch auf mehr als zwei Hochzeiten tanzen kann, hatte während der Balkan-Kriege als Informationsminister der Milošević-Regierung für die nationalistische Begleitmusik zu ethnischen Säuberungen und serbischen Gräueltaten gegen die albanische Kosovo-Bevölkerung gesorgt. Im Augenblick scheint er für den Westen auch deswegen interessant, weil allerlei Munition aus serbischer Fertigung ihren Weg zu den ukrainischen Verteidigern gegen Russland findet.

In Belgrad redete Pistorius länger als geplant mit Vuĉić. Auf der anschließenden Pressekonferenz kam es zu einem offenen Austausch. "Aus der Stärke Serbiens erwächst eine besondere Verantwortung für die Stabilität in der Region", sagte Pistorius. Er gehe davon aus, dass Serbien Spannungen nicht anheize. "Die einfache Wahrheit im politischen Leben lautet, jeder muss Kompromisse machen, die Gräben der Vergangenheit müssen überwunden werden."

Vuĉić beklagte abermals die versuchte "Einflussnahme fremder Mächte" auf die Wahlen, verneinte aber auf Nachfrage, ob Russland gemeint sei, es sei "diesmal eine andere Macht". An Pistorius gewandt versprach der serbische Präsident: "Sie haben eine andere Sichtweise, was Kosovo angeht, aber wir sind uns einig, dass Stabilität von größter Bedeutung ist. Serbien wird keinen überraschen mit militärischen Maßnahmen."


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